
Nina ist 24 Jahre alt.
Seit ihren 17. Lebensjahr leidet sie unter Bulimie. Viele Therapien sind fehlgeschlagen, haben ihre Lage zum Teil sogar verschlimmert. Durch die "Pro Mia" Gemeinschaft, schaffte sie es wieder einen Weg für sich und ihre Essstörung zu finden.
Du hast mich angeschrieben, weil es dir wichtig war, dass wir auch die andere Seite sehen...
Nina nickt.
Sie wirkt etwas nervös und ringt immer wieder mit ihren Händen.
"Richtig.
Pro Ana und Pro Mia werden gerne verteufelt. Die Leute übersehen, dass nicht alle, eigentlich die wenigsten von uns, die Krankheit als Lifestyle betrachten. Es ist uns klar, dass wir krank sind."
Wann ist dir bewusst geworden, dass du krank bist?
"Mir selbst war es nicht bewusst.
Es ist schwer zu erklären. Ich wollte dünner werden, dann wurde ich es, aber ich wollte einfach noch dünner sein. In den Foren fand ich andere Mädchen denen es so ging wie mir. Wir tauschten uns aus...
Und irgendwann kamen sie auch mich zu und sagten: Du gehst zu weit. Du musst besser auf dich aufpassen."
Die Mädchen haben dich also darauf angesprochen?
Nina nickt und lächelt etwas unbeholfen.
"Zu der Zeit wog ich 40 Kilo. Alles was ich aß, landete wieder in der Toilette.
Meine Familie machte sich schreckliche Sorgen, aber in meinem Zustand, konnte ich damit einfach nicht umgehen. Wenn ein gesunder Mensch dir sagt, dass du zu dünn bist, denkst du nur: Was will der von mir? Er kann mich gar nicht verstehen, weil er nicht weiß wie es ist!
Als die Mädels mir sagten ich sei zu dünn, fing es an in meinem Kopf zu arbeiten..."
Dennoch hast du noch ein Jahr gewartet bevor du dich in eine Therapie begeben hast...
"Den Kreislauf kann man nicht einfach durchbrechen.
Ich war wie festgefahren. Mein Zustand wurde immer schlimmer.
Ich verlor Haare und sogar ein paar Zähne.
Dadurch fühlte ich mich noch hässlicher und fing wieder an zu Hungern. Es war ein ewiger Kreislauf.
Ohne die Mädels von Pro Mia wäre ich heute tot..."
Was war der letzte Auslöser für die Therapie?
"Das kam nicht von mir selbst."
Sie stoppt und kratzt sich am Unterarm. Ich kann sehen, wie ihr Tränen in die Augen schießen und reiche ihr ein Taschentuch.
"Am Ende war es so schlimm, dass ich mich nicht einmal mehr aufraffen konnte um die Post zuholen. Ich war so schwach, dass ich ohne Hilfe das Haus nicht verlassen konnte...
Meine restlichen Haare rasierte ich ab...
In dieser Zeit waren die einzigen Menschen die mir zuhörten, ohne mich zu verurteilen, die Mädchen von Pro Mia...
Sie waren es auch, die mir einen Therapieplatz organisierten..."
Die Mädchen aus dem Forum haben dich in eine Therapie gesteckt?
Ich bin etwas skeptisch. Nina kann wieder lächeln. Sie nickt und wischt sich die Tränchenen weg.
"Eine von ihnen, wohnte in der gleichen Stadt wie ich.
Eines Tages stand sie plötzlich vor der Tür, setzte mich in ihr Auto und sagte:
So geht das nicht. Freundinnen lassen sich nicht sterben..."
Sie macht eine Pause und steht auf. Man kann ihr ansehen, wie schwer es ihr fällt über sich und ihre Krankheit zu sprechen.
"Was ich sagen will ist nur, dass diese Foren nicht dafür da sind uns gegenseitig zum ATTE (Ana Till The End) anzuspornen. Es ist nur eine Möglichkeit uns auszutauschen. Die wenigsten Menschen wissen wie es sich anfühlt... so zu sein und immer wieder diese Gedanken zu haben.
Ohne diese Foren wären wir mit unserer Krankheit allein."
Du bist jetzt seit ein paar Jahren in Therapie, bist du immer noch in diesen Foren aktiv?
Nina setzt sich wieder hin.
Sie nippt an ihrem Wasser und sieht mich lange an.
"Ja..."
Ist dir diese Frage unangenehm?
"Ja und Nein. Ich bin aktiv. Das ist auch gut so.
Ich hatte viele Rückschläge, nach der ersten Therapie wurde es sogar noch schlimmer.
Das Einzige was mir in dieser Zeit Halt gab, war Pro Mia.
Es ist ein Segen und ein Fluch. Wenn ich längere Zeit nicht aktiv bin, sehe ich wie ich wieder anfange mich zuverkriechen. Es ist nicht so, dass ich sofort wieder anfange zu hungern und zu kotzen. Aber ab und an kommen die FA(Fressattacken) wieder durch. Ich stopfe alles in mich rein, dann setzt das schlechte Gewissen ein und der Konflikt. Will ich mich jetzt erbrechen?
Wenn ich nicht die Möglichkeit habe, mit den Mädels darüber zu reden...
Ist es eben noch schwerer.
Inzwischen bin ich wieder in einer Therapie, eine Gruppentherapie.
Auch dort sind viele Mädchen, die bei Pro Mia aktiv sind und es hilft mir sie auch persönlich zu sehen und mit ihnen sprechen zu können."
Was möchtest du anderen Mädchen mit auf den Weg geben?
Nina grinst breit und nickt eifrig. Die Tränchen sind verschwunden und das Lächeln ist wieder da.
"Ich weiß wie schnell man abrutscht.
Die Sucht nach Schönheit steckt in fast allen Menschen. Es ist schwer sich von diesem Druck abzuseilen. Aber das ganze als Lifestyle abzutun ist falsch. Es ist eine Krankheit und durch diese Blogs, die zum Teil schon fast fanatisch sind, geraten noch mehr Mädchen in diesen Kreislauf.
Das ist nicht der Sinn von Pro Ana und Pro Mia.
Es sind geschlossene Foren. Nur für bereits kranke Mädchen. Nur dafür da um sich auszutauschen."
Danke, dass du mit mir gesprochen hast...
"Darf ich noch was sagen?"
Ich kann nur nicken.
"Ich hab dein *Pro-Ana-Interview* gelesen und war, auch als Betroffenem schockiert.
Dieser fanatische Wahn, ist genau das Problem das ich meine. Diese Mädchen flüchten sich in eine Art Religion und verlieren vollkommen den Sinn für die Realität.
Es ist wichtig, dass diese Blogs und Internetseiten nicht frei zugänglich sind.
Jeder der auf derartige Blogs stößt sollte diese melden oder den Betreiber anschreiben, damit der Blog mit einer Warnung versehen wird."
J.W.Gacy
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen