Seitdem die Firma das Weihnachtsgeschäft übernommen hatte, hatte sich das Einkommen verdreißigfacht. Das den Menschen aber auch immer klargemacht werden mußte, wie man einträglich wirtschaftet. Ein wunderschönes Gefühl aus der Liebe klingende und bare Münze zu erwirtschaften. „Sollen sie doch für ihre Gefühle zahlen!“, dachte Ebenezer bei sich, „Gefühle sind eh überbewerteter Humbug, das was zählt muß zählbar sein!“ Nun funktionierte alles wunderbar. Der im äußerst akkuraten, maßgeschneiderten grauen Anzug gekleideter Ebenezer Heep lehnte sich genüßlich einen teuren Kubaner paffend zurück. Feist grinsend kontrollierte er mit geübten Griff den Sitz seiner tadellos gebundenen Krawatte. Er konnte sehr zufrieden mit sich sein, die Stellschrauben waren schon in der richtigen Reihenfolge, das Getriebe funktionierte wie geschmiert. Natürlich konnte man immer ein wenig nachbessern. Laßt die Angestellten doch ruhig murren, dachte er bei sich. Sie werden schon nicht streiken, damit hatten sie schon die letzten Jahre gedroht. Laut auflachen nahm er noch einen dicken Zug und entließ ihn mit einem mehr als nur zufriedenen Grinsen in die schon vor Qualm stehende Umgebungsluft. Soll der Weihnachtsmann ruhig noch ein wenig warten, bevor er seine Beschwerden vorträgt. Es war schließlich gnädig genug von Ebenezer sich seine Klagen überhaupt anzuhören. Nein, von Leistungsoptimierung und Gewinnmaximierung hatte dieser rote Pausbäckchengrinser nun wirklich keine Ahnung. Dazu brauchte es schon die Firma, mit so einem kompetenten Kopf wie Ebenezer Heep, der stets die Übersicht wahrte. Hier ging nun alles seinen korrekten und einträglichen Gang und so müsse auch der Weihnachtsmann lernen sich zu fügen.
„Herrein!“, rief Ebenezer nach einer Weile, während er dabei nochmals genußvoll in Weihnachtszahlen und Statistiken schwelgte.
***
Wütend trat der Weihnachtsmann ein. Noch war er alleine, doch bald würde er sich durch das Weihnachtswunder verdoppeln, vervierfachen und weiter vervielfältigen, bis es genug gab um ein schönes Weihnachten zu gewährleisten.
„Herr Heep, so geht das nicht weiter!“
„Bitte?“, Ebenezer schaute entgeistert über seinen dicken Brillenrand den Weihnachtsmann an, „Das Weihnachtsgeschäft läuft jedes Jahr besser! Hier sehen sie: Die Zahlen sind phänomenal seitdem die Firma das Geschäft übernommen hat! Natürlich man kann sie noch verbessern! Aber dazu müßten sie sich schon an die neuen Vorgaben halten!“
„Eben das ist ihr Problem! Sie verstehen Weihnachten nur als Geschäft! Alles sind nur Bilanzen, das Persönliche geht total verloren! Ich durfte mich letztes Jahr schon nur noch zwei Minuten und zwanzig Sekunden um jedes Kind kümmern, und jetzt soll die Zeit sogar noch auf eine Minute und dreißig herabgesetzt werden! Und dann darf ich mich auch nicht mehr in soviel Personal verwandeln. Wie soll ich mich denn da individuell und vernünftig um jedermann kümmern?“
„Ach, sie werden das schon machen! Hauptsache die Erträge stimmen!“
„Sie immer mit ihren Erträgen! Weihnachten ist viel mehr als nur Zahlen und Fakten!“
„Mehr als Zahlen und Fakten? Es gibt nichts anderes als Zahlen und Fakten, alles andere ist nichts als Humbug! Und wer sind denn schon wieder sie?“ Ebenezer starrte auf die kleine, gedrungen wirkende Person, die gerade den Raum betreten hatte.
„Ich?“, meinte die Person kleinlaut, „Francis Church der Name, ich kümmere mich seit meinem Tod darum, daß die Glocke mit den Herzenswünschen immer schön klingelt, damit auch weiterhin genug von ihnen in Erfüllung gehen! Sie wissen ja wie wichtig das ist!“
„Papperlapapp, noch so ein ungreifbarer Humbug! Ich werde dafür sorgen, daß sie bald wegrationiert werden, aber erst einmal muß ich mich ums Weihnachtsgeschäft kümmern!“
Francis Church sah dies natürlich ganz anders, Widerspruch aber wagte er nicht, würde er sich doch nur tiefer in das Gedächtnis von Ebenezer Heep eingraben, er nickte nur und verließ schweigend das Büro.
Doch dem Weihnachtsmann platzte endgültig der Kragen: „Sie dummer verstockter Kerl, sie begreifen gar nichts. Selbst der Geist der Weihnacht ist ihnen fremd! Wissen sie was, sie Unmensch? Ich rufe hiermit einen weihnachtlichen Generalstreik aus!“
„Wie? Sie wollen streiken?“, erhitzte sich Ebenezers Gemüt. Mit scharfen, deutlichen Ton gab er zu verstehen: „Das können sie nicht tun! Sie sind das personifizierte Weihnachten! Sie können nicht streiken! Außerdem sind sie im öffentlichen Dienst! Zumal: Wenn sie streiken glaubt bald niemand mehr an sie und dann werden sie einfach so verschwinden, als hätte es sie nie gegeben! Sind sie wahnsinnig und lebensmüde? Wie können sie da an Streik denken?“
„Lieber verschwinde ich im Nichts, als weiter für die falschen Werte zu stehen!“, erwiderte ein zornentbrannter Weihnachtsmann, drehte sich hastig um und stiefelte, die Tür heftig hinter sich zuknallen lassend, aus dem Büro des sprachlosen Ebenezer. Auch Francis Church war sprachlos. Eine Welt ohne Weihnachtsmann? Was wäre das bloß für eine Welt?
***
Noch war der Weihnachtsmann alleine und keiner nahm so recht Notiz von seinem Streik, doch dann nahm das Weihnachtswunder seinen Gang und aus ihm wurden erst zwei, dann vier, bald waren es acht und es wurden immer mehr. Dieses Jahr waren sie nicht im geheimen und verborgenen mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt, sondern gingen zornig am Nordpol auf und ab, während sie groß-plakatierte Schilder trugen, auf denen sie von ihrem Streik kundtaten. Bald bemerkten die Überwachungssatelliten die stetig wachsende Masse an Weihnachtsmänner. So, daß bald auch die Presse von diesem Phänomen Notiz nahm und vom roten Massenauflauf am Nordpol berichtete.
***
Belustigt las Frank den großangelegten Artikel über die streikenden Weihnachtsmänner bei seiner täglichen Zeitungslektüre, als er plötzlich die Stimme seiner Tochter aus dem Hintergrund vernahm.
„Jetzt nicht!“, meinte er kurz angebunden, um sich weiter seiner Zeitung zu widmen. Doch seine Tochter störte sich nicht an seinem Protest. Die blondgelockte Sechsjährige zog die Zeitung runter und schaute ihn mit verzweifelten, riesengroßen Augen an.
„Was ist denn?“, seuftzte Frank sich in sein Schicksal ergebend.
„Papa, Papa! Die sagen alle den Weihnachtsmann gibt es nicht!“
„Wer sagt das?“
„Na alle! Alle aus meiner Klasse sagen das! Das stimmt doch nicht Papa, oder? Den Weihnachtsmann gibt es doch, oder nicht? Ich meine: Wer bringt denn sonst die Geschenke? Papa? Den Weihnachtsmann muß es einfach geben. Sag, daß sie lügen, sag daß sie alle lügen!“
Frank schaute in das verzweifelte Gesicht seiner Tochter, dann warf er einen Blick auf den Artikel, der mit einem Male gar nicht mehr so lustig war. Wieder sah er in das Gesicht seiner Tochter, die inzwischen den Tränen nahe war. Er sah die Verzweiflung, spürte ihren Herzenswunsch und plötzlich – mit einem Male – wußte Frank was zu tun war. Es war, als ob eine Glocke in seinem Innersten geläutet hätte, die ihm gesagt hätte, daß er ihr diesen Wunsch erfüllen müßte. Ernst schaute er seine Tochter an, dann meinte er: „Natürlich gibt es einen Weihnachtsmann! Virgina, du brauchst nicht zu weinen!“
„Bist du dir auch ganz sicher Papa?“
„Aber ja“, meinte er beruhigend, „habe ich dich schon einmal angelogen? Und nun geh zu Mama und back mit ihr die leckeren Weihnachtsplätzchen, sie freut sich schon das ganze Jahr darauf mit dir Weihnachtsbäckerei zu spielen!“
Seine Tochter blieb zwar ein wenig skeptisch, gehorchte aber ihren Vater und backte mit ihrer Mutter diese köstlichen Weihnachtsplätzchen.
***
„Oh Mama, oh Mama!“, flüsterte Virgina, als sie vom Schlüsselloch aufsah, „Da war etwas Rotes, das an der Tür vorbeigehuscht ist! Ich glaube, ich habe den Weihnachtsmann gesehen!“
„Schhht!“ Mit einem an den Lippen gepreßten Zeigefinger deutete sie ihrer Tochter ruhig zu sein.
Virgina nickte verstehend, dann spähte sie wieder durch das Schlüsselloch und sah wie die rote Gestalt im weihnachtlich eingerichteten Zimmer die extra dort drapierten Kekse mampfte und sich die heiße Milch mit Honig gönnte. Dann verließ sie das Zimmer durch die Hintertür.
„Oh Mama, oh Mama, er ist weg! Aber ich hab ihn gesehen, ich hab den Weihnachtsmann gesehen!“ Mit begeisterten Augen strahlte Virgina ihre Mutter an.
„Sehr schön Virgina, nun laß uns noch auf Papa warten, dann können wir das Weihnachtsfest offiziell einläuten.“
„Ist gut Mama, ist gut! Wo ist Papa überhaupt?“
„Ich weiß nicht, er müßte aber bald kommen!“
Kaum hatte die Mutter dies gesagt, da kam der Vater auch schon zur Vordertür hinein und versteckte geschickt ein rotes, stoffernes Etwas hinter seinem Rücken.
„Hallo ihr Lieben! Da bin ich!“ Er schaute seine Frau, die ihn vielsagend anlächelte, verschwörerisch an: „Tut mir leid Schatz, der ganze Schnee ich konnte nicht eher kommen!“
Dann nahm er sie in den Arm während er das Stück Stoff mit einem gezielten Wurf in einer Ecke verschwinden ließ.
„Wollen wir?“, fragte er seine Frau, die lächelnd nickte und während die anderen im Zimmer verschwanden, viel sein Auge auf einen Zeitungsartikel, den dereinst ein Francis Church auf die Frage eines kleinen Mädchens geschrieben hatte, ob es den Weihnachtsmann gibt. Uns seine Antwort war so schön, daß sie nun jedes Jahr in der Zeitung erschien: „... Ja Virgina, es gibt einen Weihnachtsmann ...“
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